Gedanken zum Ende des Ramadan – Trauer und Leid in Nahost und in der Welt

Der Ramadan ist fast vorüber und bald feiern wir Muslime das Ramadan-Fest. Diese Zeit der inneren Einkehr und der Reflektion über unsere menschliche Natur nehmen wir zum Anlass für einen Blick auf die aktuellen Ereignisse in der Welt und in Deutschland.

Bereits vor dem Beginn des gesegneten Monats RAMADAN haben wir angesichts aktueller Entwicklungen ganz besonders für Frieden und Brüderlichkeit im Mittleren Osten und der gesamten Welt gebetet. Denn der Koran und die Sunna erklären das Leben, Blut, Eigentum und Würde eines jeden Menschen als unantastbar. Das Blutvergießen eines unschuldigen Menschen wird im Islam als das größte Verbrechen überhaupt betrachtet. Niemand darf mutwillig oder aus welcher Motivation auch immer diese unveräußerlichen Grundrechte eines Jeden verletzen.

Wir erleben im Nahen Osten – wieder einmal – den tödlichen Kreislauf der Gewalt, die Ermordung von Unschuldigen, die Vertreibung von Frauen und Kindern, das unfassbare Elend von Menschen, die sich aus gegenseitiger Verachtung unermessliches Leid zufügen. Wir sehen fassungslos, wie in Gaza Menschen kollektiv bestraft, wie sie getötet werden und dies als Mittel der Vergeltungspolitik ungerührt hingenommen und von Regierungen gerechtfertigt wird. Wir schließen uns all den Stimmen an, die an Menschlichkeit appellieren, an religiöse Grundwerte und an die universellen Menschenrechte mahnen.

Der Präsident der DIYANET, Herr Prof. Dr. Mehmet Görmez, betonte in einer aktuellen Iftar-Rede, dass alle Offenbarungsreligionen den gemeinsamen Zweck verfolgen, das Diesseits als einen Ort der Zuflucht und Geborgenheit für alle Menschen zu gestalten. Dieser gemeinsame Zweck muss der religiöse Maßstab jedes Handelns sein (s.a.
http://www.diyanet.gov.tr/tr/icerik/“bugun-islam-topraklarinda-yasanan-olaylarin-ne-dinde-ne-mezhepte-ne-akilda-ne-de-hikmette-yeri-yoktur…/17075?getEnglish=).

Wir beobachten erschüttert den Wahnsinn von Extremisten in Syrien und im Irak, die meinen, eine gottgefällige islamische Gesellschaft könne im Mündungsfeuer ihrer Maschinengewehre und auf den leblosen Körpern ihrer Glaubensgeschwister errichtet werden. Die Vertreibung von Menschen anderen Glaubens – wie zuletzt in Mossul und anderswo – ist ein weiteres tragisches Beispiel des Missbrauchs von Religion, welchen wir entschieden verurteilen.

Wir schauen ebenfalls nach Asien und fühlen  mit den Muslimen in Xinjiang, deren religiöse Identität und Menschenwürde mit Füßen getreten wird, indem man sie am Fasten hindert und zwingt, während der Fastenzeit zu essen und zu trinken.Wir denken an die Muslime in Myanmar, die unter den gleichgültigen Blicken der Weltpolitik permanenter Anfeindung und Verfolgung ausgesetzt sind.

Wir sind ratlos angesichts der scheinbar religiösen Konflikte in afrikanischen Ländern, wo Menschen, deren Vorfahren Opfer unvorstellbarer Gewalt geworden sind, sich nun einander Gewalt antun, nur weil sie eine andere Herkunft oder einen anderen Glauben haben.

Wir gedenken der Opfer des Völkermordes von Srebrenica, deren Gräber uns mahnend vor Augen führen, zu welchen Gräueln wir Menschen selbst mitten in Europa fähig sind, wenn Hass und Verachtung von unseren Herzen Besitz ergreift. 

Wir blicken auch hilflos in die Ukraine, wo der nächste kriegerische Konflikt ausgebrochen ist, der Tod und Verzweiflung über tausende Menschen gebracht hat und uns durch den Flugzeugabschuss vor Augen führt, wie schnell unbeteiligte Menschen aus aller Welt in das Leid mit hineingezogen werden. Kein Konflikt ist weit entfernt und darf uns gleichgültig sein.

Und hier in Deutschland erleben wir, welche Folgen die Fehlbarkeit des Menschen hat, wenn er nicht immer wieder aufs Neue seinen Zorn zu überwinden sucht und nicht nach der Läuterung seines Herzens strebt.

Wir beten für die Seele von Marwa El-Sherbini, die zusammen mit ihrem ungeborenen Kind in einem Dresdener Gerichtssaal dem sinnlosen Hass auf Muslime in Deutschland zum Opfer gefallen ist, weil sie weithin sichtbar durch das Kopftuch als Muslimin zu erkennen war.

Wir sind ernüchtert darüber, dass trotz solcher schmerzlichen Erfahrungen immer noch Frauen – wie zuletzt in Dortmund – ihren Arbeitsplatz verlieren, nur weil sie ein Kopftuch tragen und wie eine Kommunalpolitikerin im Umfeld dieser Ereignisse ihre Menschenverachtung offenbar werden lässt.

Wir sind betroffen, wenn trotz des Urteils des Europäischen Gerichtshofs die Bundesregierung weiter an Sprachtests als Bedingung für den Nachzug türkischer Ehegatten festhalten will und verstehen nicht, weshalb die Ehe und Familie von australischen, neuseeländischen, koreanischen oder honduranischen Paaren schutzwürdiger sein soll, als die türkischer Paare.

Und ja, wir sind besorgt, wenn junge Menschen, die ihrer berechtigten Trauer und Betroffenheit über die Gewalt im Nahen Osten auf Demonstrationen Ausdruck verleihen, in ihrem Protest in den gleichen seelischen Abgrund des Hasses fallen. Wir können nicht schweigen, wenn in Deutschland antisemitische Hassparolen skandiert werden oder jüdische Mitmenschen beschimpft und Synagogen angegriffen werden. Das Leid der Menschen in Gaza wird nicht dadurch gemindert, indem hier altbekannter Hass neu gesät wird.   Wir rufen dazu auf, stets maßvoll und fair zu bleiben, wir mahnen Gewaltlosigkeit an und distanzieren uns von Ausschreitungen und Extremismus. Der Islam mahnt uns „dem Bösen entgegne mit Gutem - denn wer anderes tut, kann nicht von uns sein“.

Unter dem Eindruck all dieser Ereignisse im Ramadan hat sich in die Freude und Dankbarkeit an unseren Iftar-Tafeln stets auch Bitterkeit und Kummer ob des Leids unserer Mitmenschen gemischt.
 
Wir schließen weiterhin allabendlich alle Menschen weltweit in unsere Gebete ein, die unter Gewalt und Unrecht leiden müssen. Wir erinnern uns daran, was Gott uns im Koran offenbart hat: dass er den Zustand eines Volkes nicht ändert, bevor sie nicht selbst das ändern, was in ihren Herzen ist (Sure 13, Vers 11).

Wir beten dafür, dass Gott allen Menschen die Kraft und den Mut geben möge, den Hass und die Verachtung aus ihren Herzen zu tilgen und stattdessen Mitgefühl und Hilfsbereitschaft für ihre Mitmenschen zu empfinden.

Unsere Betroffenheit darf nicht zur Verzweiflung und Ohnmacht führen. Wir müssen nach Wegen der Hoffnung und der Versöhnung suchen. Jede Anstrengung in diese Richtung verdient unsere Aufmerksamkeit, so wie die Initiative der islamischen Gelehrten aus aller Welt für  Frieden, Mäßigung und Vernunft.
(http://www.diyanet.gov.tr/en/content/world-islamic-scholars-meet-for-peace/17095)